Was macht ein gutes Porträt aus?

Ein Porträt bildet eine Person ab. Das geht mit Pinsel und auf Leinwand, aber auch in Wort und Video. Bei beiden ist aber eines wichtig: Ein gutes Porträt braucht – vor allem Zeit und Geduld.

Wenn ich ein Porträt über einen Menschen schreibe oder drehe, dann fühle ich mich ein wenig wie ein Maler. Ich setze mich am liebsten etwas entfernt von dem Protagonisten und schaue und zeichne nach. Nur nicht mit dem Pinsel, sondern mit Wort oder Video.

Die beste Situation habe ich erreicht, wenn sich der Porträtierte unbeobachtet fühlt und ich seine natürliche Bewegung, sein Gespräch mit anderen aufsaugen kann. Wenn ich merke, OK, der spielt mir gerade nicht die perfekte Person vor, sondern ist, wie er ist. Das ist oft nicht leicht. Daher nehme ich mir gerne Zeit für ein gutes Porträt. Das Vertrauen muss aufgebaut werden. Die Hemmnisse sinken. Die Gespräche sollen unbefangen sein.

Nah an der Wirklichkeit

Denn ein gutes Porträt zeigt die Persönlichkeit einer Person authentisch und mit all ihren Facetten. Wie ist ihr Denken und Handeln? Dafür ist ein hohes Maß an Vorarbeit, Sorgfalt und Einfühlungsvermögen nötig. Genau das macht mir sehr große Freude. Mein Ziel ist es, dem Leser die porträtierte Person möglichst nahe zu bringen. Ich möchte der Vermittler der Eindrücke sein, die der Leser und Zuschauer in Realität auch sehen würde. Er soll das Gefühl haben, diese Person selber zu begleiten.

Daher begleite ich den Protagonisten meist zu verschiedenen Orten, die eine Rolle im Leben der Person spielen – zum Beispiel zu Hause, zur Arbeitsstelle oder zu sonstigen Plätzen, die mit der besonderen Geschichte der Person verknüpft sind. Treffe ich mich mit einer Person nur einmal, dann ist es mir fast unmöglich daraus Charakterzüge und verschiedene Aspekte einer Person heraus zu kristallisieren.

Nähe und Distanz

Doch, wer so viel Zeit miteinander verbringt, der baut auch meist eine Bindung auf. Das ist die ganz große Schwierigkeit im Journalismus. Wie also lässt sich die Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz bewerkstelligen?

Es braucht in gewisser Weise Vertrauen, dass sich das Gegenüber auch öffnet, doch zu viel Nähe birgt die Gefahr, dass die objektive Sicht beeinträchtigt ist. Also sollte ich am Ende noch einmal Aussagen gegenprüfen – egal wie glaubwürdig eine Aussage wirkt. Ich helfe mir auch mit Drittäußerungen über die Person.

Was braucht es?

  • Ein relevantes Thema

Lebt die Person ein besonderes Leben oder ist sie gezeichnet durch Schicksalsschläge? Oder bildet sie ein Resultat von Politik? Bevor ich mich auf die Person stürzte, brauche ich eine These.

  • Das A und O: Vorrecherche

Die richtige Einordnung ist erst dann möglich, wenn ich etwas über die Lebensumstände und Hintergründe weiß. Manchmal hilft auch die Befragungen weiterer Personen im Vorfeld.

  • Erste Fragen formulieren

Was will der Leser über die Person wissen. Darüber mache ich mir im Vorfeld Gedanken. Hier habe ich auch noch die nötige Distanz. Das kann später mal hilfreich sein.

  • Planung der Treffen

Nun ist es an der Zeit, mit dem Protagonisten zu telefonieren, ihm mein Vorgehen zu erläutern und mit ihm über Orte zu sprechen, an dem ich ihn begleiten könnte und möchte. Dann lassen sich die Termine machen.

  • Treffen

Filmen oder Mitschrift von Beobachtungen und Gesprächen mit mir und mit anderen. Hier ist Detailgenauigkeit wichtig.

  • Schreiben

Was brauche ich für meine These? Was ist ein packender Einstieg? Was zeigt die Person in den Szenen passend zu meiner Interpretation? Mit einem Baukastenprinzip lässt sich hier eine Geschichte erzählen. Hier können mühelos Beobachtungen, Zitate, detaillierte Szenenbeschreibungen einfließen.

  • Check

Den Text/das Video lasse ich dann erst einmal liegen, lese und schaue später noch mal drüber. Und dann finde ich es hilfreich, den Text/das Video gegenlesen zu lassen.

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